Als er stürzte, brach für mich eine Welt zusammen. Ich weiß heute nicht mehr ob ich irgendetwas gespürt habe. Ich weiß nicht mehr was ich gesagt habe. Und ich weiß nicht mehr ob Jemand mich beachtet hat.
Ich saß an seinem Bett, tagelang. Aber er wachte nicht auf. Als die Ärzte aufgaben, war meine Hoffnung noch nicht verschwunden. Ich wollte mir nicht eingestehen, dass er nicht mehr aufwachen würde. Nie wieder sein Lachen zu hören oder sein Lächeln, wie an dem einen Tag. Ich konnte es mir nicht eingestehen. Ich saß da, in der Hoffnung, das er wach werden würde, das er die Augen wieder auf machen würde. Das er mich ansehen, und fragen würde:
„Was machst du denn hier?“
Ich habe mir so gewünscht, er würde etwas sagen. Nur ein Wort. Aber er blieb stumm. Die Ärzte wollten, dass ich mich schlafen lege. Aber ich wollte es nicht. Sie meinten, ich wäre schon zu lange wach. Sie meinten, er würde nicht mehr aufwachen. Aber ich blieb bei ihm. Seine Freunde kamen und gingen, sie alle weinten. Nur ich konnte nicht weinen. Nur die Kälte war in meinem Herzen eingebrannt. Ich konnte nichts mehr anderes fühlen als Schmerzen und Kummer. Aber irgendwo war da doch die Hoffnung, dass er wieder aufwachen würde. Sie war da und ich erinnere mich an sie. Ich erinnere mich sehr gut.
Ich nahm mir vor ihm zu sagen was ich fühle. Ich nahm mir vor, alles nach zu holen, was ich durch meine Dummheit verdrängt hatte. Es ihm zu sagen, ihm alles zu sagen. Ihm zu sagen was ich fühle. Ihm zu sagen was ich denke.
Doch mein Körper wurde schwerer, immer schwerer. Ich wurde müde, aber ich gab nicht auf. Nein, nie würde ich aufgeben. Nicht für ihn. Nein. Ich würde ihn nicht allein lassen! Er würde aufwachen. Er würde wieder lachen.
Ich saß da, mit leeren Augen, mit kaltem Herz, mit schwarzer, einsamer Seele. Ich hoffte. Aber es war alles um sonst.
Wir standen im Regen um ein Loch herum, in dem der braune, hölzerne Sarg lag. Noch immer konnte ich nicht weinen. Mein Herz fühlte sich noch immer so leer an. Ich fühlte nichts. Ich hatte nicht aufgegeben. Aber er hatte es. Er hatte mich im Stich gelassen. Er hatte mich allein gelassen. Er war weg. Für immer. Ich konnte ihn nicht zurück holen, egal wie sehr ich es versuchen würde. Ich wollte es, ich wollte ich hätte mein Leben geben können für seines. Die Leute meinten ich hätte ein gutes Herz, als ich es aussprach, aber ich achtete nicht auf sie. Ich wollte nichts von alledem hören. Er war weg. Er war weg… er würde nicht zurück kommen. Ich wunderte mich, ich fühlte ihn, spürte seine Anwesenheit, doch war er nicht da. Nicht wirklich. Ich hob den Kopf und sie alle sahen in meine Augen. Und ich sah sie an, sah die Tränen, die Verzweiflung und die unendliche Trauer. Sie sahen die leere, die sich stattdessen in meinen Augen breit gemacht hatte.
Er war tot…
Ich sah auf den Sarg nieder. Aber die Tränen blieben aus. Ich hasste ihn. Ich hasste ihn so sehr. Warum war er doch gefahren? Obwohl ich ihm gesagt hatte, er solle es nicht tun.
„Es ist zu gefährlich!“ hatte ich ihm zu gerufen.
Aber er hatte nur gelächelt und war los gefahren. Und gestürzt. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte meinen Schrei zu überhören, den ich immer wieder hörte. Diesen gellenden Schrei. Er ertönte immer wieder in meinem Ohr.
Er war tot…
Es konnte nicht sein. Ich ließ die Rose auf den Sarg fallen. Ich war die letzte die bei ihm stand. Mein Atem gefroren in kleine Wölkchen. Er war weg… Er würde nicht zurück kommen. Nie wieder. So stand ich da, ganz allein im Regen. Es schien ihm egal zu sein, wie lange ich da noch stand. Er sagte nichts. Ich konnte mich nicht mehr an seine Stimme erinnern, an sein lachen. Alles war weg. Wie ausgelöscht. Ich war durchnässt, aber es interessierte ihn nicht. Es war ihm egal. Ganz egal…
Ich sah es ein.
Er würde nicht zurück kommen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ich unterdrückte einen Schrei, vor Wut und vor Trauer. Ich schüttelte mich, um die Sorgen zu vergessen. Wütend wandte ich mich um und ging. Ich verließ den Friedhof, ich ging zur Brücke. Ich schaute nach unten. Ich schaute auf die Gleise. Und jetzt?
Ich dachte an ihn. An seine Augen, die lächelten. Warum konnte ich sie jetzt sehen? Ich schloss die Augen. Ich konnte sein Gesicht sehen. Erst jetzt liefen meine Tränen. Ich sah mich um. Ich sah ihn. Wie er an das Geländer der Brücke gelehnt stand und lächelte. Ich ging auf ihn zu. Er schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich ab und ging den Weg entlang. Ich rieb mir die Augen, dann als ich wieder hin schaute war er weg. Ich wusste was er gemeint hatte, wandte mich um und rannte zum Friedhof zurück. Ich setzte mich an sein Grab und starrte es an. Ich lächelte. Lange saß ich da. Der Abschied viel mir schwer. Aber es ging nicht anders. Erst als es Abend wurde, verließ ich den Friedhof… und ihn? Nein… er war immer bei mir und ich bei ihm. Das wusste ich jetzt. Er war nie weit weg. Er war ja eigentlich immer da.
Da wo auch die anderen waren.
Ich sah zu Himmel und dachte ihn lachen zu hören. Aber so hatte ich ihn noch nie lachen gehört...